Technische Artikel
Der Schematische Ablauf einer Tonproduktion

Auf dieser Seite findet sich eine schematische Darstellung, wie der von Musikinstrumenten oder Gesangsstimmen erzeugte Schall zunächst über den Raum und dann durch die Mikrofone letztlich durch das Wiedergabesystem an das menschliche Ohr dringt und welchen Veränderungen er dabei unterworfen ist. Die Angaben beziehen sich, gerade was die Abmischung angeht, auf eine Stereoabbildung. Für ein Surroundsystem gilt dies sinngemäß. Die Erklärungen und Grafiken sind recht theoretisch ausgelegt und sollen nicht als Anleitung für eigene Tonaufnahmen misverstanden werden. Sie dienen vielmehr dazu, einen Überblick über die Komplexität des Themas zu gewinnen. Es handelt sich auch nicht um die Wiedergabe von Grundlagenwissen aus Tontechnikbüchern sondern stellt unsere Sicht der Dinge dar und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Kommentare ist gerne erbeten.

Der Klangkörper:

Zunächst geht man von dem sogenannten Klangkörper aus. Dieser in der Musiktheorie häufig anzutreffende Begriff beschreibt meist direkt eine konkrete Musikeraufstellung. Bei näherer (tontechnischer) Betrachtung zerfällt er aber in zwei Teile: Er besteht aus einem primären Klangkörper, genauer der Summe aller aktiven Stimmen (Instrumente und Gesang) und sekundären Veränderungen und Zusatzklängen, welche durch den Raum bedingt sind. Dabei treten dem eigentlichen "Nettoschall" vor allem von den Wänden zurückgeworfene Spiegelsignale der Stimmen hinzu, die in vielen Fällen den gewohnten Gesamtklang erst ausmachen. In gleicher Weise werden durch vorhandene Gegenstände und Zuschauer, der vorhandene Schall aber auch gebrochen und gefiltert. Viele Gegenstände werden durch die gesamte im Raum befindliche Schallenergie zu Eigenschwingungen angeregt und tragen so ihrerseits zum Klangbild bei.

Der primäre, aktive Klangkörper

Gesangstimmen + Instrumente + individuelle Abstrahlcharakteristik der einzelnen  Stimmen  (Direktschall) + Position der einzelnen Stimmen in der Ebene + Zusammenfassung zu Gruppen / Registern

Der sekundäre, passive Klangkörper

Größe und Beschaffenheit des Raumes (Kurzreflexe, Nachhallzeit) + Auswirkung der Einrichtung, Möbel und Fenster + Dämpfungswirkung der Musiker und der Zuschauer + Wirkung akustischer Elemente zur globalen Klangbeeinflussung im gesamten Raum

 

"5-dimensionaler" Klangkörper :
Zeit- und frequenzabhängiges Schallgemisch im 3-dimensionalen Raum

Das Ergebnis ist eine spezifische Klangsituation in einem 3-dimensionalen Raum: An jeder Stelle herrscht eine andere, individuelle Schallsituation vor, die sich als Luftdruck (Lautstärke) über der Frequenz darstellen lässt. Je nach Abhörposition liegen dabei Direktschall, Kurzreflexionen und diffuser Hall der einzelnen Stimmen in ganz unterschiedlichem Verhältnis vor, wobei der relative Anteil des diffusen (ungeordneten) Schalls mit dem Abstand zum Klangkörper stets ansteigt: In der Nähe einer Schallquelle dominiert der Direktschall, in der Ferne der Diffusschall. Häufig definiert man die Grenze, an der sich die beiden Anteile die Waage halten, als sogenannten Hallradius. Dieser ist aber bei näherer Betrachtung der Frequenzen nicht eindeutig festlegbar, da tiefe Frequenzen im Raum meist einer geringeren Dämpfung unterliegen und deren Anteil mit zunehmendem Abstand zur Quelle weniger abfällt, als die Höhen. Mithin wäre der Hallradius für Bässe geringer, als der für die Höhen. Die variable Akustik führt auch dazu, dass summarisch betrachtet, der reflektierte Schall einen anderen Frequenzgang besitzt, als der direkt gehörte.

In der realen Hörsituation werden dem Ohr nun je nach Position verschiedene Anteile zugeleitet, die zu verschiedenen Zeitpunkten eintreffen. Dabei wird z.B. der Direktschall als etwas dumpfer empfunden, weil der von seitlich stehen Gegenständen und Wänden reflektiere Schall in einem günstigeren Verhältnis ins Ohr einfällt. Aus dem Frequenzprofil und dem Reflexmuster ist das Gehör nun in der Lage, sowohl die Position und den Klang der Quelle, als auch Größe und Beschaffenheit des Raumes, herauszuhören, da es über eine Reihe von Erfahrungswerten über Räume und deren Klang verfügt. Das Gehör trennt gewissermaßen die Reflexionen vom Direktschall ab, und ermittelt aus den Unterschieden im Klangbild den echten Instrumentenklang und die Dämmung des Raumes. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass dem Ohr möglichst viele, echte Reflexionen zur Verfügung stehen.

Das Problem:

Werden dem Ohr nun falsche, also im Klangbild und dem zeitlichen Eintreffen zueinander nicht passende, Reflexionen angeboten, so kommt es zu Fehlinterpretationen. Dies kann sich in einem falsch gehörten Raum aber auch in einem falschen Grundklang äußern. Leider ist es durch die heute gegebene Technik der Stereoabbildung nicht möglich, ein in allen Punkten korrektes Bild an das Ohr heranzuführen - auch nicht mit Surroundsystemen. Der Grund liegt darin, dass Mikrofone nicht automatisch so hören, wie die Ohren tun und selbst wenn Mikrofone so benutzt werden, wie Ohren hören, so ist es nicht möglich, die Signale mit Lautsprechern adäquat wiederzugeben. Selbst mit dem diesbezüglich eindeutigsten aller denkbaren Systeme (2 Mikros in kopfbezogener Aufnahme auf einen Kopfhörer) ist dies aufgrund anatomischer Unterschiede beim Höhrenden nicht möglich.

Ziel muss es also sein, wie auch immer ein Signalgemisch zu erzeugen, welches nach dem Abspielen durch Lautsprecher zu einem gewünschten (natürlichen ???) Bild führt.

Die Aufnahme:

Die oben genanten Schallkomponenten Direktschall, Kurzreflexionen und Diffusschall sollen nun durch ein Mikrofonsystem (oder eine Kombination aus mehreren solchen) passend abgebildet werden. Jedes Mikrofonsystem selbst besteht wiederum aus 2 oder mehr Einzelmikrofonen, welche die Aufgabe haben, ganz gezielt bestimmte Anteile des im Raum existenten Klangbildes einzufangen. Dabei sind u.a. das Abstrahlverhalten der Instrumente, die Richtwirkung der Mikrofone und das Verhältnis von Direktschall zu Diffusschall zu beachten. Das Abstrahlverhalten der Instrumente, die Ausdehnung des Klangkörpers sowie das ortsabhängige Verhältnis von Direkt- zu Diffusschall bestimmen z.B. die Position und Ausrichtung der Mikrofone und deren Bedeutung in einem Mikrophonsystem. Deren richtungsabhängiger Frequenzgang wiederum hat Auswirkungen auf den gestellten Winkel zur Szene.

Ein Beispiel für die variable Positionierung von Mikrofonen findet sich in unseren Artikeln zur Aufnahmemöglichkeiten von Flügeln und Gesang bzw. Chören. In bestimmten Fällen werden auch Akustikelemente genutzt, um den Mikrofonen nur bestimmte Schallanteile zuzuleiten bzw. unerwünschte Anteile zu mildern. Diese aktive Einflussnahme kann lokal im Bereich der Mikrophone erfolgen oder auch auf den Klangkörper wirken.

 

Das Aufnahmeverfahren

Anzahl der Einzelmikrofone,  Stereoanordnungen (AB, MS, ORTF) und Stützen. + Richtcharakteristik der einzelnen Mikrofone (Hypernieren, Niere, Acht, Kugel) + Position und Ausrichtung der einzelnen Mikrofone (Aufnahmebereich) + Abschirmung einzelner Mikrofone / Trennkörper + Auswirkung akustischer Elemente zur lokalen Beeinflussung des Klanges in Mikrofonnähe
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"nx3-dimensionales" Klangmaterial :
Zeit- und frequenzabhängiges Gemisch aus allen Schalltypen für jedes der n Mikrofone

 

Ab hier liegen nun 2 oder mehr Mikrofonspuren vor, die entweder bereits bei der Aufnahme im Pult oder im Nachhinein im Studio zu einem Gesamtbild vereint werden. Jedes Mikrofon hat dabei Frequenzen aus allen möglichen Richtungen eingesammelt, die in der Konstellation mehr oder weniger real zueinander passen. Die einzelnen Frequenzbereiche der Instrumente sind damit in den verschiedenen Mikrofonen in ganz unterschiedlicher Lautstärke und Zeitversatz (Phase, Laufzeit) vertreten. Weitergehende Aspekte sind im Artikel über die Bedeutung der Mikrofone enthalten.

Die Abmischung:

Mischt man nun die einzelnen Spuren zeitgleich und in gleicher Lautstärke mit einer willkürlichen PanPot-Einstellung zusammen, so stehen die Stimmen klanglich nicht unbedingt dort, wo sie von ihrer Position her platziert waren. Zudem erhält man nicht automatisch den gewünschten Gesamtfrequenzgang. Ja nach Verfahren müssen daher nun einzelne Mikrofonspuren zunächst in bestimmter Weise bearbeitet werden, bevor sie so passend zusammengemischt werden können, dass das gewünschte Klangbild entsteht. Dies betrifft neben der Phase und dem Frequenzgang und die Lautstärke und gilt sowohl für einzelne Stützmikrofone in einer Mikrofongruppe, als auch für ganze Mikrofonsysteme.

Hatte man z.B. ein Mikrofon auf eine bestimmte Schallquelle ausgerichtet, so ist dieses Instrument gemäss des Frequenzganges der Hauptachse im Mikrofon unverfälscht enthalten. Benachbarte Klangquellen klingen jedoch anders und leiser. In anderen Mikrofonen hingegen, ist erstgenanntes Instrument mit einem anderen Frequenzgang und auch einem Zeitversatz enthalten. Ob und in welcher Weise sich dies auswirkt, hängt von dem Ausmaß des Zeitversatzes und auch der Lautstärkekonstellation ab. Ist ein Signal in einem Mikro sehr viel leiser, so hat es unabhängig vom Zeitversatz keine Bedeutung und liefert auch keinen nennenswerten Klangbeitrag. Sind die letztlichen Pegel aber in einem ähnlichen Bereich, so bildet sich automatisch eine Stereobasis zwischen diesen Mikros, wobei es auf den exakten Pegelunterschied und die Laufzeitdifferenz ankommt, wo das Signal letztlich gehört wird. Bei typischen Stereomikrofonanordnungen ergeben sich z.B. ganz charakteristische Bilder, welche die einstigen Klangquellen z.T. exakt, oder aber auch völlig anders wiedergeben und auf der künstlich erzeugten Stereobasis abbilden.

 

Das Abmischverfahren

Nachbearbeitung einzelner Mikrofonspuren (Phasendrehung, Equalizing, zeitliche Verzögerung) + Kombination einzelner Mikrofonspuren zu Stereosystemen + Angleichung und Überlagerung von Mikrofonsystemen zu Stereobildern + Zumischung von einzelnen Stützmikrofonen zum Gesamtbild + Zumischung von Hallmikrofonen und künstlichem Hall
 
"2x3-dimensionales" Stereobild :
Zeit- und frequenzabhängiges Schallgemisch für jeden der beiden Ziellautsprecher

 

Nachdem nun jedes Instrument in allen Mikrofonspuren mit seinem Direktschall und seinem Nachklang mehrfach enthalten war, werden durch das Zusammenmischen der Spuren insgesamt 2 (für Surround 4 oder mehr) Kanäle erzeugt. Jedes Instrument taucht hierbei wieder mehrfach in beiden Spuren auf, sei es durch die Reflexionen im Raum oder das Addieren zweier Spuren. Die hierbei entstehenden Echos helfen oder stören das Ohr bei der Lokalisation der Stimmen - je nachdem. Je mehr Mikrofone genutzt werden, und je mehr Kurzreflexionen deren Spuren enthalten, desto fülliger aber auch unklarer wird dann das sich ergebende Klangbild. Oft ist aber nur durch Mehrfachmikrofonie der Zusammenbau eines Klangbildes in einer Weise möglich, daß alle die Anteile die Endmischung gelangen, die das Ohr benötigt, um das gewünschte Bild hören zu können.

Die Wiedergabe:

Damit wären wir am Ende angekommen: Die beiden Stereolautsprecher generieren nun aus den 2 Spuren (L+R) ihrerseits wieder einen 5-dimensionalen Klangraum, wobei deren Position und Abstrahlverhalten maßgeblich ist. Zudem überlagern sich neue Reflexionen der Wände im Zimmer des Abhörenden dem abgegebenen Klang, was zu einer Verengung und Verdichtung des Klangbildes führt. Diese Tatsache muss bei der Abmischung berücksichtigt werden. So sind die aufgenommenen oder künstlich erzeugten Phasenverschiebungen zwischen Mikrofonen und die Lautstärkebalance der Stimmen auf ein 60-Grad System der Lautsprecher abgestimmt. Häufig werden auch gezielt keine Laufzeitdifferenzen genutzt, und bestimmte Kurzreflexionen aus der Mischung herausgehalten, um das Klangbild offener und klare zu halten.

Infos zur konkreten Umsetzung finden sich hier

J.S. Stand Juni 2000

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