Technische Artikel
Was bedeutet Dynamikkompression wirklich ?

Auf vielen Webseiten im Internet wird der Begriff Kompression erklärt: Es handelt sich im Gegensatz zu der Datenkompression bei AC3, MP3s und MD um die Anhebung der mittleren und geringen Lautstärken im Vergleich zu den hohen Lautstärken innerhalb einer Abmischung / eines Stückes. Was meist nicht erklärt wird, sind die musikalischen Auswirkungen dieser Vorgehensweise. Dies soll hier einmal nachgeholt werden.

Die Dynamikkompression funktioniert so, dass der Mix in Abhängigkeit der Lautstärke verstärkt wird und zwar so, dass leise Passagen stärke angehoben werden, als laute. Damit einher geht ein Verlust an effektiver Dynamik - d.h. eine musikalisch laute Passage erhebt sich nicht mehr so sehr über die mittleren, wie einst eingesungen oder eingespielt.

Dieses Bearbeitungsmittel wird z.B. benutzt, um eine automatische Angleichung des Pegels bei schwankenden Lautstärken vorzunehmen, was insbesondere bei den Verstärkeranlagen im Livebetrieb auf Bühnen vorteilhaft ist, da hier z.B. beim Sänger schon geringe Hand- und Kopfbewegungen den Abstand zum Mikro relevant ändern und zu künstlichen Lautstärkeschwankungen führen, die nicht erwünscht sind. Hier hilft der Kompressor, dem Sänger mehr Deutlichkeit und Verständlichkeit zu verleihen. Auch akustische Musiker, deren Instrument mit Mikrofonen oder Tonabnehmer aufgenommen werden, profitieren von diesem Effekt.

Deutlich weniger vorteilhaft sind automatische Lautstärkekorrekturmechanismen in den Fällen, wo der Musiker die Lautstärke gewollt variiert oder einen wechselnden Mikrofonabstand sogar als Stilmittel einsetzt. Siehe dazu auch unseren Artikel zur Verwendung von Mikros auf Bühnen und zum Verständnis den Artikel Funktion von Mikros.

Problematisch sind nun genau die Fälle, wo ein stationäres Mikrofon eingesetzt wird und man davon ausgehen kann, dass der Musiker keine unwillkürlichen, sondern ausschließlich beabsichtigte Lautstärkenwechsel aufbietet, weil der musikalische Ausdruck dies in dieser Passage verlangt. Im Bereich der akustischen Musik und des klassischen Gesanges ist dies im Besonderen der Fall: Präzise ausgeführte Lautstärkennuancen sind ein wesentliches Stilmittel guter Musik und eine Kompression verschwächt oder zerstört diesen Ausdruck!

Im Weiteren ergibt sich das Problem, dass Kompressoren vor allem im Bereich Pop und Rock dazu genutzt werden, die effektive mittlere Lautstärke einer Gesamtmischung für CDs anzuheben. Dieses Thema sorgt unter Tontechniker in jüngster Zeit für großen Verdruss, da sich am Markt immer mehr Mischungen durchsetzen, die man getrost als totokomprimiert bezeichnen muss. Hintergrund der Angelegenheit ist, dass man versucht, die Mischung lauter zu bekommen als den typischen Durchschnittsmix, da beim Wechsel in z.B. Radiosendungen das Folgestück lauter ist und subjektiv besser gehört wird. Interessanterweise wird laut auch als schöner empfunden, was Pop- und Rockproduzenten dazu verleitet, ihre Mischungen in einer Art Aufrüstungswettkampf lauter und lauter zu machen, um sich gegenseitig zu übertreffen. Die Dynamik ist derart reduziert, dass zwischen laut und leise kaum noch ein Unterschied besteht. Laut klingt einfach "mitreißender" - vor Allem in der Populärmusik. Das Resultat sind Mischungen, die kaum mehr als 10dB Restdynamik aufweisen- also permanent laut sind gleichsam aber an Klangqualität leiden: Die Stücke plärren mit nahezu konstant hohem Pegel, ermüden das Ohr und verhindern akustische Höhepunkte im Werk. Insbesondere Multibandkompressoren zerstören das stückübergreifende Klanggefüge zwischen Bässen, Mitten und Höhen.

Da dies bei akustischer Musik, wo es um den Erhalt der Klangkonstellation ankommt, gar nicht - oder nur unwesentlich möglich ist, ohne aufzufallen - liegt der Spitzenpegel insbesondere klassischer Musik um Größenordnungen höher, als mittlere oder niedrige Lautstärkepegel. Da die Spitzenpegel "noch auf die CD passen müssen" fallen umgekehrt die leisen Passagen naturgemäß sehr viel leiser aus, als man es von anderen CDs gewohnt ist. Auch beim Vergleich älterer Produktionen aus den 80ern und 90ern zu den heutigen CDs fällt auf, dass CDs gleichen Genres heute viel lauter gemastert werden.

Im Prinzip ist das Problem jedoch eigentlich gar nicht existent: Bei einer unkomprimierten CD ist es nämlich sehr einfach möglich, die Lautstärkenverhältnisse in etwa real einzustellen, sodass leise und laute Passagen so erklingen, wie sie eingespielt worden sind. Dazu existiert an den meisten Anlagen ein Lautstärkeregler, der dies durch einfaches Drehen ermöglicht. Wurde eine CD vernünftig aufgenommen und produziert, so wurde bereits tontechnisch darauf geachtet, dass bei realer bzw. typischer Abhörlautstärke auch leise Passagen deutlich hörbar wiedergegeben werden. Dabei bleiben klassische Produktionen i.d.R. weitgehend unkomprimiert - lediglich große Orchesterwerke müssen gfs diesbezüglich bearbeitet werden. Oft sorgen hier aber geeignet aufgestellte und passend zugemischte Solistenmikrofone für die nötige Präsenz und Verständlichkeit: Ein Anheben der Pianissimopassagen ist daher meist unnötig.

Leider geben hier die Popmusiker sozusagen den Normpegel vor. Der Hörer gewöhnt sich daran und empfindet dann ältere und unkomprimierte Mischungen als zu leise, da früher meist wenig komprimiert wurde. Hier lohnt einmal der Test mit älteren CDs aus dem Regal. Indirekt werden alle Produzenten mehr oder minder genötigt, hier mitzuziehen. Daher sind heute moderne CDs auch aus dem Bereich Klassik komprimiert und im Pegel hochgezogen, obwohl dafür keine wirkliche Notwendigkeit besteht und dies sogar kontraproduktiv ist:

Man betrachte ein klassisches Werk mit Orchester und Gesang wie Puccinis "Nessun Dorma" (Turandot): Das Gehör adaptiert während weiter Teile des Werkes an leise und mittellaute Passagen  und wird nur bei z.B. "Vincero" lediglich kurzzeitig von Tenor und Orchester mit einem hohen Lautstärkepegel überrascht. Das Gehör ist bis dahin noch nicht durch ständig hohe Pegel ermüdet oder wie in der Popmusik durch permanentes stetig lautes Geplärre regelrecht betäubt und nimmt die fff-Passage auch entsprechend wahr. Sie wird als ergreifend und dramatisch empfunden und man fühlt sich mitgerissen. Diese gezielt von den Komponisten gesetzen Highlights wechseln rasch mit leiseren, befriedenden Passagen. Da die laute Passage recht rasch wieder abebbt, wird das Gehör nicht ermüdet und kann sich nicht an den Pegel gewöhnen. So wird es bereit, für die kommende steigernde Passage in den Werken, welche wieder auf den nächsten Höhepunkt hinführen. So und nur so, können solche "Highlights" auch tatsächlich ihre Wirkung tun.

Hat man das Gehör aber schon weit vorher mit zu großen Lautstärkepegeln aus künstlich hochgezogenen Passagen  eingedeckt, so wirken die lauten Passagen nicht mehr steigernd genug. Die Alternative wäre, den CD-Spieler so leise einzustellen, daß die künstlich lauten Bereiche wieder normal und leise klingen, sodass das Gehör wenigstens nicht zu sehr ermüdet wird. Die leisten Bereiche stimmten zwar dann objektiv gesehen wieder, die Spitzen sind aber nach wie vor zu klein, da der CD einfach die Dynamik fehlt. Mehr noch, die Spitzen sind dann relativ UND auch absolut zu leise. Schade um die Authentizität echter Musik !

Bei überkomprimierten Musik-CDs gibt es sogar überhaupt keine echte Steigerung mehr. Sie müssen förmlich mit einer permanent hohen Lautstärke abgehört werden, um überhaupt einen Höhepunkt zu hören. Die Überkompression führt bei solchen CDs dann sogar dazu, dass die laut gesungenen Passagen in den Hintergrund treten: Da das Gehör bei der Stereowiedergabe die Aspekte Lautstärke, Deutlichkeit und Nähe nicht in der gewohnten Weise aus dem 3D-Signal eines realen Raumes ermitteln kann, sondern auf das eindimensionale Signal der beiden Lautsprecher angewiesen ist, kommt es bei einem Zurücknehmen der Lautstärke durch den Kompressor im Masterbereich nicht selten dazu, dass eine Stimme bei einer eigentlich lauter gesungene Passage irgendwie kleiner oder weiter weg klingt. Besonders bei der Aufnahme einer Stereoszene über den Raum, wo nebst Direktschall auch viele Reflexionen erfasst werden, wie in der klassischen Musik üblich, rücken Musiker in komprimierten lauten Passagen gerne mal etwas nach hinten:

Der Einsatz von Kompressoren und Limitern macht die Operndiva nicht lauter sondern kleiner !

... und all dies, weil manche es noch immer scheuen, den Lautstärkeregler zu benutzen.

J.S. Juli 2003 - Stand Mai 2004

© Studio 96